Pavel Polka

Triumf času a pravdy

(Der Triumph von Zeit und Wahrheit)

Zusammenfassung

Der englische Musikhistoriker Charles Burney (1726-1814) ersann, inspiriert durch das vierte Buch der "Dunciad" von Alexander Pope, für den Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759) die lateinische Benennung "Centimanus", d.h. "der Hunderthändige". Dieser Beiname kann heute im übertragenen Sinne einen Charakterzug von Händels Kunst zum Ausdruck bringen, nämlich die ungewöhnliche Vielseitigkeit - bezogen auf Händels vollkommene Beherrschung aller damals bekannten Kompositionsmethoden oder auf sein in hohem Grade individuelles Eingreifen in die verschiedensten musikalischen Formen. Der Name "Centimanus" suggeriert die Vorstellung von jenen "hundert Händen", die nicht nur das chorische Oratorium, sondern auch die einzelne kleinere Komposition für Solocembalo schufen. Deshalb ist es nahezu unmöglich, alle Seiten von Händels Persönlichkeit, Leben und Werk in einem einzigen Buch auch nur flüchtig zu erfassen.

Obwohl dramatische Geschehnisse in Händels Leben durchaus nicht fehlen, erschüttert es uns nicht durch solche Tragödien wie etwa die Lebensläufe Mozarts, Beethovens oder Schumanns. Händels Notenpapier zeigt keine Spuren vergossener Tränen! Seine Musik ist nicht durch jene bei den romantischen Komponisten so beliebten düsteren Wolken getrübt. Händels optimistische Wesensart, die dem klaren, unsentimentalen Geist des 18. Jahrhunderts entsprach, erlaubte ihm nicht, über Schwierigkeiten zu klagen.

Sollten wir in anderen Kulturbereichen nach einer Analogie zu Händel suchen, so fielen uns am ehesten der flämische Maler Peter Paul Rubens (1577-1640) und der italienische Bildhauer und Architekt Giovanni Lorenzo Bernini (1598-1680) ein. Es verbindet Händel mit diesen Künstlern vor allem der Charakter seiner Ausdrucksmittel, die auf wirksame Theatereffekte, auf differenzierte Gestaltung eines gegebenen Themas, auf blendende Pracht sinnreich zur Schau gestellter künstlerischer Formen zielen. Händel, ein Held der Barockmusik, erfüllte diese Formen allerdings mit einem ganz neuen, spezifischen inneren Gehalt. Nach der Londoner Premiere des Oratoriums "Messias" sagte er: "…ich würde es bedauern, wenn ich das Publikum nur unterhalten hätte; ich möchte die Menschen verbessern"…

In unvermindertem Maße bewundern wir heute auch Händels imponierenden, überraschend aktuellen gedanklichen Liberalismus, der zweifellos aus dem lebendigen Boden der Frühaufklärung aufkeimte. Dank dieser Geisteshaltung konnte Händel so leicht und schnell die grundlegenden künstlerischen und geistigen Anregungen des damaligen Europas, ungeachtet ihrer geographischen Herkunft, in sich aufnehmen. Er komponierte seine Musik mit dem gleichen Maß der Verantwortung für Deutsche, Italiener, Engländer und Iren, für die lutherische, reformierte, katholische und anglikanische Kirche. Immer hielt er die übernational gültigen Ideale schöpferischer Freiheit und religiöser Toleranz für entscheidend. Offen und schlicht, mit tiefer innerer Anteilnahme, bekannte sich Händel zu einem wirklich reinen, dem Allgemeinwohl dienenden Humanismus.

Der Titel der Monographie "Triumf času a pravdy" ("Der Triumph von Zeit und Wahrheit") wurde aus zwei Gründen gewählt: Zunächst stimmt er mit dem Titel eines Oratoriums überein, das Händel in seiner Jugend komponierte (1707), im reiferen Alter überarbeitete (1737) und kurz vor seinem Tode endgültig abschloß (1757). Darüber hinaus kann das eindringliche Thema dieses Werkes die grundlegende Richtung im menschlichen Leben und schöpferischen Dasein des Meisters allegorisch erklären. - Der erläuternde Untertitel der Monographie lautet: "Vyprávění o životě, díle a dědictví hudebního skladatele Georga Friedricha Händela" ("Erzählung vom Leben, Schaffen und Erbe des Komponisten Georg Friedrich Händel").

Der erste, aus neun Kapiteln bestehende Teil des Buches (S. 15-96) behandelt Händels Leben und kompositorische Entwicklung, wobei auch den bedeutendsten Werken aus den einzelnen Lebensabschnitten Aufmerksamkeit gewidmet wird. Von Händels Geburtsstadt Halle an der Saale "reisen" wir zunächst nach Hamburg, danach in die wichtigsten italienischen Musik-Metropolen, weiter nach Hannover und schließlich nach London, wo sich der große Musiker im Jahre 1712 auf Dauer ansiedelte. Sein fast fünfzigjähriges Wirken in England nimmt im ersten Teil des Bandes selbstverständlich den größten Raum ein.

Die drei darauffolgenden Kapitel sind thematisch geprägt: "Osobnost" ("Persönlichkeit"; S. 97-102) vermittelt ein authentisches Bild von Händel als Mensch, "Dílo" ("Schaffen"; S. 103-122) stellt eine allgemeine, aber gleichzeitig in sich geschlossene Analyse und Wertung aller in Händels kompositorische Tätigkeit einbezogenen musikalischen Bereiche dar, wobei der Text mit charakteristischen Notenbeispielen unterlegt ist. Im Kapitel "Dědictví" ("Erbe"; S. 123-135) werden wir Zeugen der Händel-Rezeption vom Todesjahr des Komponisten bis zur Gegenwart. Der Schluß dieses Kapitels führt den Leser auf das Territorium von Böhmen und Mähren.

Eine interessante Auflockerung des Buches ist der detaillierte Stammbaum Händels ("Händelův rodokmen"; S. 137-139), unterteilt in die Linien väterlicherseits und mütterlicherseits. Er bringt auch neue, bisher nicht veröffentlichte Erkenntnisse, die des Meisters Vorfahren aus dem Königreich Böhmen betreffen.

Einen Einblick in Händels private Angelegenheiten ermöglichen die "Exzerpte aus Händels Korrespondenz" ("Ukázky z Händelovy korespondence"; S. 141-150), die insgesamt acht (erstmals ins Tschechische übersetzte) Briefe enthalten. Einen dieser Briefe schrieb Händel seinem Freund Johann Mattheson (1719), vier seinem Schwager Michael Dietrich Michaelsen (1719, 1725, 1731, 1733), einen an den Librettisten Charles Jennens (1741) und zwei an Georg Philipp Telemann (1750, 1754).

Ein leichteres, unterhaltsames Kapitel bringt eine Sammlung bekannter und weniger bekannter Händel-Anekdoten ("Händelovské anekdoty"; S. 151-157), die - mit bestimmten Vorbehalten - zu einem besseren Verständnis von Händels persönlichen Eigenarten beitragen.

Der faktographische Anhang umfaßt: "Grundlegende Daten über Händels Leben und Schaffen" ("Základní údaje o Händelově životě a díle"; S. 159-166), "Chronologische Übersicht über Händels Opern" ("Chronologický přehled Händelových oper"; S. 167-170), "Chronologische Übersicht über Händels Oratorien" ("Chronologický přehled Händelových oratorních děl"; S. 171-173), "Anmerkungen" ("Poznámky"; S. 175-207 - insgesamt 162), "Personenregister" ("Rejstřík osobních jmen"; S. 209-227), "Quellen und ergänzende Texte zu den Illustrationen" ("Prameny a doplňující texty k ilustracím"; S. 229-291) und "Bibliographie" ("Bibliografie"; S. 293-309).

Das Buch "Der Triumph von Zeit und Wahrheit" enthält insgesamt 210, zum Teil unikate Schwarz-Weiß-Reproduktionen; somit wird hier eine der umfangreichsten Zusammenstellungen von Abbildungen im Rahmen der Händel-Literatur präsentiert. Viele der Illustrationen erleben in der Händel-Literatur wahrscheinlich ihre Premiere (z.B. Nr. 4, 10, 14, 15, 30, 32, 52, 54, 55, 71, 75, 77, 83, 86, 87, 89, 96, 109, 119, 121, 133, 153, 168, 171, 178, 181-186, 208). Die Fotografien sind einer ganzen Reihe von privaten Sammlern und öffentlichen Institutionen zu verdanken (ein Verzeichnis derer, die die Herstellung der Fotos finanzierten, ist auf S. 289-291 abgedruckt). Einige Aufnahmen fertigte der Autor der Monographie selbst an (Nr. 4, 8, 15, 75, 89, 183, 186, 188, 189 und 191).

Die Česká Händelova společnost (Tschechische Händel-Gesellschaft e.V.) - Herausgeber des Bandes - wurde in Prag am 28. März 1990 von einer Gruppe junger Intellektueller als freiwillige und unabhängige Interessenvereinigung gegründet. Sie setzt sich zum Ziel, im Geiste des Humanismus die kulturbeflissene Öffentlichkeit mit dem Leben, Schaffen und Vermächtnis Georg Friedrich Händels entsprechend den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bekanntzumachen.

Die Herausgabe des Buches "Der Triumph von Zeit und Wahrheit" wäre ohne die unentbehrliche materielle Unterstützung durch ausländische Sponsoren überhaupt nicht in Betracht gekommen; ein Verzeichnis ihrer Namen befindet sich im Abschnitt "Poděkování sponzorům" ("Worte des Dankes an die Sponsoren"; S. 325-326).

Pavel Polka (geb. 1957), der Autor der Monographie, ist auch der erste Vorsitzende der Tschechischen Händel-Gesellschaft und gehört zu unseren tatkräftigsten Propagierern der Händelschen Musik. Seine Hændeliana-Sammlung, offensichtlich die größte in der Tschechoslowakei, besteht vor allem aus Händel-Literatur und Tonaufnahmen von Kompositionen des Meisters. Polka publizierte nicht nur im Inland, sondern auch in Deutschland und in den USA.